Vielleicht kennst Du das auch: ein großes Projekt wartet darauf, endlich angepackt zu werden. Es ist wirklich riesig. Nicht nur das, Du schiebst es schon sehr lange vor Dir her.
Ein Kunde wartet auf Deinen Anruf. Er hat nun schon zum dritten Mal auf den Anrufbeantworter gesprochen. Du vermutest, dass er eine Beschwerde hat. Leider bist Du heute wieder nicht dazu gekommen, ihn zurückzurufen. Es war einfach zu viel los.
Eigentlich solltest Du dringend ein Gespräch mit dem Mitarbeiter führen. Immer wieder passieren Fehler, Absprachen werden nicht eigehalten und gestern hat sich ein Kunde beschwert. Doch jetzt ist nicht der passende Zeitpunkt.
Ich kenne das schon aus meiner Schulzeit. Seit Wochen steht der Termin für die Schulaufgabe, die Abgabe der Hausarbeit oder die Prüfung fest. Ich hatte mir ganz fest vorgenommen, rechtzeitig mit dem Lernen anzufangen und dadurch mehr als genug Zeit zum Durcharbeiten des Stoffes zu haben. Doch dann ist das Wetter so schön, da gehe ich doch lieber ins Bad. Eine Freundin ruft an: „Heute abend? Eigentlich wollte ich lernen – aber ich habe ja noch Zeit!“ Und so kommt es schließlich, dass ich mich doch erst wieder kurz vorher wirklich hinsetze und das unter Zeitdruck mache, wofür ich vorher entspannt Zeit gehabt hätte. Das Phänomen ist wohlbekannt, manche nennen es „Aufschieberitis“, das Fachwort dafür lautet „Prokrastination“.
Auch heute ertappe ich mich manchmal noch dabei, manches auf die lange Bank zu schieben. Bei mir sind es vor allem große Projekte, bei denen ich nicht weiß, wo und wie ich anfangen soll und die mir Respekt einflössen. Oder Angelegenheiten, bei denen ich entweder unangenehme Folgen befürchte oder auf die ich nur wenig Lust habe.
Warum ist das so? Bei den großen Projekten ist bei mir oft eine gewisse unterschwellige Angst im Hintergrund. Ich fühle mich dem Ganzen nicht gewachsen, ich fühle mich überfordert, zu klein, zu unwissend. Viele hinderliche Glaubenssätze, die ich im Laufe meiner Kindheit aufgebaut habe, kommen hier zum Vorschein. Meistens sind das Dinge, die ich noch nie gemacht habe und die mir unglaublich groß und umfassend erscheinen. Da ist es doch viel wichtiger, endlich mal wieder aufzuräumen, die Ablage zu sortieren, Fenster zu putzen (das mache ich normalerweise nie freiwillig!), die sozialen Medien zu checken und nach einem neuen Auto wollte ich ja auch schon lange schauen. Dinge, die vorher relativ unattraktiv waren, werden plötzlich ungeheuer interessant, dringend und wichtig. Vor allem, wenn ich dadurch der eigentlich anstehenden Aufgabe entkommen kann.
Diese anderen Tätigkeiten versprechen mir, zumindest teilweise, einen schnellen Erfolg. Bei dem großen Projekt wird es dauern, vielleicht es komplett ungewiss, ob und wann ein Erfolg sich einstellt. Räume ich meinen Schreibtisch auf, dann habe ich im Gegensatz dazu ein relativ schnelles Erfolgserlebnis. Meine andere Ausrede für diese Fälle: dafür brauche ich viel Zeit. Jetzt habe ich ja nur eine Stunde, da lohnt es sich gar nicht, anzufangen.
Bei den Aufgaben, die eventuell unangenehm werden könnten, wie Gespräche mit Kunden oder Mitarbeitern, ist ganz klar, was mich bremst. Ich will diese unangenehmen Gefühle nicht haben. Vielleicht habe ich Angst vor dem Gespräch, vor der Auseinandersetzung, vor der Reaktion des anderen, vor meiner Reaktion. Davor, vor dem anderen blöd dazustehen, eine Niederlage einzustecken, mir Kritik anhören zu müssen. Auch hier kommen Ur-Ängste zum Tragen: die Angst vor Ablehnung, Angst vor dem Versagen, die Angst, von anderen nicht gemocht zu werden oder Zugehörigkeit, Anerkennung oder Status zu verlieren. Oft habe ich in diesen Fällen schon erlebt, dass mein eigener Dialog, der in meinem Kopf stattfindet solange ich diese Angelegenheit aufschiebe, viel negativer und schlimmer ist als das Gespräch selbst.
Was also tun? Wie so oft, klingt es ganz einfach: Einfach anfangen, einfach T-U-N. Such Dir bei großen Projekten einen Ansatzpunkt und fang erstmal an. Wie heißt der schöne Schritt: Der weiteste Weg beginnt mit dem ersten Schritt. Hast Du noch gar keinen Plan, wo Du anfangen sollst, dann fang damit an, Dir diesen Plan zu machen oder Menschen zu befragen, die etwas Ähnliches schon gemacht haben. Du wirst merken, sobald Du angefangen hast, ergeben sich die nächsten Schritte manchmal wie von selbst. Der Stolz, mit dieser Sache angefangen zu haben und den ersten Schritt gemacht zu haben, bringt oft so viele positive Gefühle und Energie mit sich, dass Dir der nächste Schritt schon viel leichter fällt. Das Aufschieben kostet Dich Energie und Selbstwert.
Bei mir war es oft so, dass unangenehme Gespräche oder Aufgaben meist viel angenehmer waren als ich befürchtet habe. Das, was ich mir in meinem Kopf ausgedacht habe, war oft viel schlimmer als es in Wirklichkeit war. Auch in diesem Fall: Schieb es nicht auf die lange Bank – pack es an. Natürlich sollst Du nicht unvorbereitet in wichtige Gespräche gehen. Dein Selbstwertgefühl wird es Dir danken, wenn Du auch solche Angelegenheiten zügig und proaktiv angehst. Und die Energie für Dein Kopfkino kannst Du sinnvoller einsetzen
Und bei den Aufgaben, auf die Du keine Lust hast? Bei diesen Aufgaben kannst Du ein letztes Mal prüfen: Ist es eine Aufgabe, die wirklich wichtig ist? Bringt Sie Dich und/ oder Dein Unternehmen voran? Falls nein: dann streiche sie von Deiner Liste oder lege sie in die Rubrik: vielleicht irgendwann. Falls ja: ist es zwingend notwendig, dass Du diese Aufgabe erledigst? Oder kann das auch ein Mitarbeiter oder z.B. ein Dienstleister, den Du dafür engagierst?
Liest Du immer noch? Oder bist Du schon ins Tun gekommen? Los geht’s!
Comentários